Meine Geschichte
2013 war das Jahr, welches mein Leben grundlegend gezeichnet hat. In diesem Jahr habe ich mich entschieden, meine Schwangerschaft nicht weiter zu führen und die Seele meines Kindes wieder nach Hause zu schicken. Als ich den Arzt aufgesucht habe, war ich bereits unerwartet in der 9. Woche schwanger. Da ich eine Zwischenblutung hatte und das als Periode interpretiert habe, habe ich lange nichts von meiner Schwangerschaft mitbekommen. Erst als der Körper mir die typischen Signale gesendet hat, wurde mir bewusst, was los war. Sofort habe ich einen Test gemacht. Das Ergebnis war eindeutig, meine Schockstarre auch. Die Entscheidung das Kind nicht auszutragen, fiel innert Millisekunden. Ich war von meiner Abneigung dieser Nachricht gegenüber selbst überrascht. Ich habe mich als Zuschauer in meinem eigenen Film gefühlt. Es war so, als ob ich mir selber dabei zuschaue, was gerade geschieht.
Rund ein Jahr zuvor bin in von der Schweiz nach Südafrika ausgewandert. Während einem 3-monatigen Aufenthalt dort, habe ich mich nicht nur in das Land verliebt, sondern auch in meinen damaligen Partner. Wir waren knapp 2 Jahre zusammen, bevor ich mich endgültig von ihm getrennt hatte. Unsere Lebenseinstellungen waren zu unterschiedlich, was zu viel Spannung geführt hat. Mir fehlte es nicht nur an emotionaler Unterstützung und finanzieller Stabilität seinerseits, sondern auch an Vertrauen, dass wir einer unbeschwerten Zukunft entgegen blicken können. Nach langem Hin und Her habe ich endgültig den Schlussstrich gezogen. Das war kurz bevor ich von meiner Schwangerschaft erfuhr. Obwohl seit einigen Wochen komplette Funkstille zwischen uns herrschte, wollte ich ihn wissen lassen, dass ich von ihm ein Kind erwarte. Auch wenn ich in meiner Entscheidung schon stark gefestigt war, hoffte ich doch noch, dass sich alles zum Guten wenden würde. Vielleicht war ich ja gar nicht schwanger, vielleicht hat der Test ein falsches Resultat angezeigt. Ich konnte und wollte diese Entscheidung nicht komplett alleine machen, schliesslich war es auch sein Kind. Zudem sehnte ich mich nach seiner Unterstützung und Meinung. Denn ausser ihm habe ich mich niemandem anvertraut. Als ich ihm von der unerwarteten Schwangerschaft erzählt habe, hat er das Kind direkt angenommen und mit seinem ganzen Herzen geliebt. Er hätte es sehr gerne kennen gelernt. "Liebe alleine genügt, Obdach, Geld und allgemeine Stabilität im Leben seien nebensächlich", meinte er. "Nicht in einem Land wie Südafrika", erwiderte ich. All seine Argumente und Bemühungen konnten mich nicht mehr umstimmen. Ich habe mich auf die Erfahrungen gestützt, welche ich mit ihm während unserer gemeinsamen Zeit gemacht habe. Von der Angst getrieben, dass er der Rolle als Vater nicht gewachsen wäre und früher oder später aus unserem Leben verschwinden würde, habe ich mich gegen unser gemeinsames Kind entschieden. Den Schmerz, vom eigenen Vater verlassen und sich nicht geliebt zu fühlen, wollte ich diesem kleinen Wesen ersparen. Es war ein Schmerz, den ich selber zu gut kannte und über Jahre in mir getragen habe.
Reisen ist ein grosser und essentieller Teil von mir. Neue Kulturen und Menschen kennen zu lernen, hat mir geholfen, meine Perspektive auf die Dinge zu ändern und meine Glaubensmuster zu überdenken. Vieles, was bei uns Tradition hat, ist an anderen Orten dieser Welt unvorstellbar.
Da meine Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten war, kam nur die Absaugmethode in Frage. Noch während ich im Untersuchungszimmer lag, spürte ich, wie die Seele meines Kindes ihren winzig kleinen Körper verlässt. Eigentlich wollte ich aus der Klinik rausrennen und mich gegen diesen Eingriff entscheiden, doch ich lag wie gelähmt im Bett. Mein Verstand hat mich ans Bett gefesselt, während mein Herz geblutet hat. Ich habe mein Kind bewusst wahrgenommen, es um Verzeihung gebeten und meine Abschiedsworte gesprochen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich je in solch einer Situation wieder finden würde. Ignoranter weise habe ich früher andere für diese Entscheidung verurteilt, weil ich es nicht verstanden habe. Weil niemand es verstehen kann, der es nicht selbst erlebt.
Die ersten Jahre nach dem Eingriff habe ich nur selten an meine Schwangerschaft gedacht. Ich habe weiter in Kapstadt gewohnt, bevor ich mir später 1 Jahr Auszeit in der Tschechei, dem Heimatland meines Vaters, gegönnt habe. Ich habe mich meines Lebens gefreut und unbeschwert weiter gelebt. Als ich jedoch wieder zurück in die Schweiz kam, begannen sich Erinnerungen und Schuldgefühle einzuschleichen. Erst hatte ich grosse Mühe anzunehmen, dass ich tatsächlich eine Abtreibung hatte. Ich konnte mich lange Zeit nicht damit identifizieren. Als ich akzeptiert habe, was ich erlebt habe, hat eine grosse und langanhaltende Trauer mich im Alltag ausgebremst, dies obwohl ich meine Entscheidung nicht bereut habe. Ich fand mich in einem jahrelangen Verarbeitungsprozesses wieder, den ich hauptsächlich mit mir alleine ausgemacht habe. Innerlich hat es mich so sehr aufgewühlt, doch äusserlich musste ich den Schein bewahren, damit niemand von meinem Geheimnis erfährt. Die Einsamkeit und Angst mich niemanden anvertrauen zu können, haben mich zusätzlich Unmenge an Kraft gekostet. Erst einige Jahre später erfuhren wenige Leute von meinem Schicksal. Eine davon war eine gute Freundin, die ebenfalls einen Abbruch hatte. Nur mit ihr konnte ich mich frei von jeglichen Vorurteilen austauschen. Nur von ihr habe ich mich verstanden gefühlt. Die anderen haben mich ermutigt, professionelle Unterstützung anzunehmen, da sie selbst nicht wussten, wie sie mit dieser Situation umzugehen hatten, welche Worte mir meinen seelischen Schmerz lindern würden. Nach langer Zeit, extremer Überwindung und einem grossen Mass an Mut machte ich mich auf die Suche nach einer entsprechender Fachstelle. Zu meinem Erstaunen gab es keine einzige. Also habe ich nachgefragt und Forschung betrieben und tatsächlich immer noch nichts gefunden.
Durch das ich angenommen habe, was passiert ist, konnte ich all meine Gefühle zulassen. Nachdem Wut, Trauer und Selbsthass langsam schwanden, konnte ich mich mit dem Warum auseinander setzen. Dem wirklichen Warum. Heraus zu finden, welche unterbewussten Glaubenssätze mich zu meinem Schwangerschaftsabbruch gebracht haben, hat mir geholfen, meine schmerzhaften Emotionen in Liebe und Dankbarkeit zu wandeln. Alles hat einen Grund und äussere Umstände spiegeln unser Inneres. Als mir klar wurde, dass der Besuch meines Kindes ein Segen war, habe ich die ganze Situation aus einer anderen Perspektive angeschaut. Ich habe mich gegen mein Baby entschieden, weil ich es beschützen wollte, den Schmerz zu fühlen, ohne Vater aufzuwachsen. Ja, mein damaliger Partner hat mir versprochen, für immer da zu sein und unser gemeinsames Kind bedingungslos zu lieben. Doch in mir spielte sich ein innerlicher Film ab und ich spürte, wie er dieser Verantwortung nicht gerecht wird und früher oder später nicht mehr Teil unseres Lebens sein wird. Ob sich meine Befürchtungen später einmal bewahrheiten würden, kann ich leider nicht sagen. Wie stark ich ihn mit meiner Entscheidung verletzt habe, leider auch nicht. In diesem Augenblick jedoch spürte ich den Schmerz meines Kindes, ohne Vater aufzuwachsen. Deshalb habe ich die Schwangerschaft unterbunden, um mein Kind von der selben Erfahrung zu beschützen, wie ich sie gemacht habe. An diesem Grund habe ich mich lange festgehalten. Erst viele Jahre später habe ich erkannt, dass die Schwangerschaft und die damit verbundene Entscheidung ein Spiegel dafür war, was ganzheitlich geheilt werden musste, nämlich das ungelöste und unstimmige Verhältnis zu meinem Vater. Die Seele meines Kindes hat sich zur Verfügung gestellt, mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Durch den Abort habe ich meine seelischen Blockaden geheilt.
Ich bin der Überzeugung, dass wir hier auf Erden sind, um zu erfahren, um zu wachsen und zu erleben. Perfektionismus ist ein Konstrukt des Verstandes und vor allem der heutigen Gesellschaft, welcher so nicht erreicht werden kann. Wir sind trimmt darauf, fehlerfrei durchs Leben zu gehen. Meine Ansicht ist, dass man entweder alles als Fehler ansehen kann oder oder gar nichts. Man lernt aus jeder Situation und das sollte auch so sein. Ich habe für mich entschieden, niemanden für seinen Weg zu verurteilen, denn jeder schreibt seine ganz eigene Geschichte. In meiner Heilungsphase habe ich mich an zwei sehr gute Mediums gewandt, welche mir unbeschreiblich kraftvolle und heilende Worte mit auf den Weg geben konnten. Bei dem letzteren habe ich eine 2-jährige Ausbildung zur Profilerin und Mental Coach gemacht. In dieser Zeit habe ich nicht nur gelernt, die Gefühle meines Gegenübers zu erkennen und wahrzunehmen, sondern vor allem meine eigenen.
Während meiner intensiven Trauerphase habe ich für mich sehr wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Ich habe weit verbreitende Vorurteile der heutigen Gesellschaft, die Denkmuster meiner Familie und vor allem aber meine eigenen in Frage gestellt.
Heute habe ich Frieden geschlossen und empfinde bedingungslose Dankbarkeit für meine Erfahrung. Es hat mich inspiriert, diese Organisation zu gründen, für alle diejenigen, die noch von Selbstvorwürfen beschattet sind. Gemeinsam können wir für einander da sein. Gemeinsam können wir heilen.